Gliederung
Gedankenexperiment
Ich möchte mit Ihnen zunächst einmal ein kleines Gedankenexperiment durchführen. Dabei gehe ich von der stark vereinfachten Annahme aus, dass die Haarfarbe des Menschen durch ein einziges Gen bestimmt wird, was natürlich nicht korrekt ist, da ein Gen häufig viele Merkmale bestimmt und umgekehrt ein Merkmal von vielen Genen abhängig ist. Aber, wie dem auch sei, es handelt sich ja nur um ein Gedankenexperiment.
Gedankenexperiment
Stellen Sie sich vor, alle Menschen der Erde hätten im Gen für die Haarfarbe exakt die gleiche Basensequenz. Dann gäbe es keine verschiedenen Allele wie "blond", "braun" oder "schwarz", und alle Menschen hätten die gleiche Haarfarbe.
Unter diesen Voraussetzungen würden die Rekombinationen, die wir bereits besprochen haben, zwar weiterhin ablaufen, aber sie hätten überhaupt keine Auswirkungen auf den Phänotyp eines Menschen.
Selbst bei einem Crossing-Over würde dann nichts passieren. Es würden zwar Gene vom väterlichen zum mütterlichen Chromosom "wandern" und umgekehrt, diese Gene hätten aber die gleiche Basensequenz, und somit hätte das überhaupt keine Auswirkungen auf den Phänotyp des Individuums.
Was wollte ich Ihnen mit diesem Gedankenexperiment zeigen?
Die genetische Variabilität einer Population wird zwar hauptsächlich durch Rekombinationsprozesse verursacht, aber wirklich neue Allele und somit neue Merkmale können durch Rekombinationen nicht entstehen. Durch Rekombinationsprozesse werden lediglich die bereits vorhandenen verschiedenen Allele gründlich "durchmischt". Neue Allele und damit neue Merkmale können nur durch Veränderungen der Basensequenz eines Gens entstehen, also durch spontane und zufällige Mutationen.
Neue Allele können nicht durch Rekombination entstehen. Rekombination erzeugt zwar genetische Vielfalt, aber nur durch Kombination bereits vorhandener Allele.
Neue Allele dagegen können nur Mutationen entstehen.
Einteilung der Mutationen nach ihrer genetischen Ursache
- Genmutationen, die sich nur auf ein einzelnes Gen auswirken, sind Folgen von Veränderungen der Basensequenz der DNA, zum Beispiel durch Insertion, Deletion oder Substitution einzelner Basen.
- Chromosomenmutationen wirken sich schon auf ganze Chromosomen aus und sind teilweise sogar im Lichtmikroskop zu erkennen.
- Genommutationen schießlich betreffen das gesamte Genom eines Lebewesens, wenn sich zum Beispiel der Chromosomensatz verdoppelt hat (Polyploidie), oder wenn von einem Chromosom drei Exemplare vorliegen (Trisomie).
Siehe hierzu die entsprechende Seite in der Genetik-Abteilung!
Die Rolle von Duplikationen für die Evolution
Für die Evolution am wichtigsten sind sicherlich die Duplikationen, eine Klasse der Chromosomenmutationen, bei der ganze Gene verdoppelt werden. Das eine Exemplar des Gens kann dann weiterhin seine ursprüngliche Aufgabe verrichten, das zweite Exemplar ist eigentlich überflüssig und kann dann durch Mutationen verändert werden, ohne dass das gleich tödliche oder nachteilige Auswirkungen auf das Überleben oder den Fortpflanzungserfolg des Individuums hat. Die Evolution kann mit dieser Genkopie sozusagen "herumspielen" und durch Zufall vielleicht neue interessante und sogar vorteilhafte Merkmale hervorbringen.
Einteilung der Mutationen nach ihrer Auswirkung auf das Individuum
Neben dieser bekannten Einteilung kann man die verschiedenen Mutationen auch nach ihrer Auswirkung auf das Individuum unterteilen.
- Neutrale Mutationen haben keine oder so gut wie keine Auswirkungen auf den Phänotyp, sie sind daher weder nachteilig noch vorteilhaft für das Individuum. Wenn sich später einmal die Umweltbedingungen ändern, können aus solchen neutralen Mutationen jedoch schädliche oder vorteilhafte Mutationen werden.
- Schädliche Mutationen haben nachteilige Auswirkungen auf den Phänotyp des Individuums, und letale Mutationen sind direkt tödlich. Oft kommen solche Mutationen gar nicht zum Tragen, weil schon die befruchtete Eizelle oder der frühe Embryo abstirbt.
- Ganz selten kommen aber auch vorteilhafte Mutationen vor. Ein Adler, der zum Beispiel eine verbesserte Augenlinse hat, kann seine Beute leichter erkennen, und eine Maus, deren Trommelfell aus irgendeinem Grund besser schwingen kann, hat ein empfindlicheres Gehör. Auch auf molekularer Ebene gibt es vorteilhafte Mutationen. Ein Enzym, welches eigentlich zum Zerlegen von mit der Nahrung aufgenommenen Nucleinsäuren gedacht war, kann durch eine Mutation plötzlich auch die DNA eingedrungener Viren zerstören und verschafft damit der Zelle einen deutlichen Überlebensvorteil. Siehe hierzu auch Vertiefungsseite "positive Mutationen"