Die Edelgase sind absolut reaktionsträge
Bereits die Chemiker vergangener Jahrhunderte haben festgestellt, dass sich Edelgase völlig anders verhalten als andere chemische Elemente. Sie reagieren überhaupt nicht, selbst nicht mit konzentrierten Säuren oder beim starken Erhitzen mit reinem Sauerstoff. Auf Grund dieser Reaktionsträgheit hat man die Gase Helium, Neon, Argon, Krypton, Xenon und Radon dann auch als "Edelgase" bezeichnet, in Analogie zu den "Edelmetallen" Silber, Gold und Platin, die ja auch sehr reaktionsträge sind. Im Vergleich zu den Edelgasen sind die Edelmetalle aber recht reaktionsfreudig. Vom Silber gibt es einige Verbindungen, selbst Gold und Platin können unter bestimmten Umständen mit anderen Stoffen reagieren. Die Edelgase dagegen reagieren bis auf ganz wenige Ausnahmen überhaupt nicht. Eine Übersicht der wenigen Edelgasverbindungen findet man auf der Wikipedia-Seite "Edelgasverbindungen".
Mit dem Daltonschen Kugelteilchenmodell, dem Thomsonschen Rosinenkuchenmodell oder dem Rutherfordschen Kern-Hülle-Modell konnte man das interessante Verhalten der Edelgase nicht erklären. Erst mit dem Aufkommen des Bohrschen Schalenmodells war das möglich.
Der Edelgaszustand
Nach dem Schalenmodell von Bohr haben alle Edelgase eine voll mit Elektronen besetzte Außenschale.
Das Helium besitzt zwei Elektronen auf der K-Schale, die damit voll besetzt ist. Das zweite Edelgas, das Neon, besitzt acht Elektronen auf der L-Schale, die ebenfalls voll besetzt ist. Auch das dritte Edelgas Argon besitzt acht Elektronen auf der M-Schale, die ebenfalls voll besetzt ist.
Für Experten:
An sich kann die M-Schale 18 Elektronen aufnehmen, aber wenn wir dieses Thema behandeln wollen, kommen wir in den komplexen Bereich der Übergangsmetalle und müssen das Orbitalmodell zur Hilfe nehmen. Es werden bei diesen Elementen nämlich nicht nur die s- und p-Orbitale besetzt, sondern auch die fünf d-Orbitale, in die weitere 10 Elektronen hineinpassen. Für die Stufen 9 und 10 bzw. EF, für die diese Seiten in erster Linie geschrieben sind, ist das sicherlich nicht angemessen. Die d-Orbitale werden selbst in den Stufen Q1 und Q2 nicht thematisiert, sondern erst im Chemie-Studium, wenn die Elektronenkonfiguration von Übergangsmetallen behandelt wird.
Für Super-Experten, die trotzdem weiterlesen möchten:Im Orbitalmodell wird die L-Schale durch ein s-Orbital und drei p-Orbitale repräsentiert. In jedes Orbital passen zwei Elektronen, also können insgesamt acht Elektronen auf der L-Schale untergebracht werden.
Die M-Schale wird im Orbitalmodell durch ein s-, drei p- und fünf d-Orbitale repräsentiert, auch hier passen wieder zwei Elektronen in jedes Orbital. Zählt man alles zusammen, so kommt man auf 18 Elektronen für die M-Schale.
Auch die N-Schale wird durch ein s-, drei p- und fünf d-Orbitale repräsentiert. Allerdings befinden sich das s-Orbital und die drei p-Orbitale auf einem energetisch niedrigeren Niveau als die fünf d-Orbitale der M-Schale. Das heißt, wenn die Orbitale eines Atoms mit Elektronen belegt werden, sind zunächst mal die s- und p-Orbitale der N-Schale "dran". Erst wenn diese Orbitale mit je zwei Elektronen belegt sind, können die fünf d-Orbitale der M-Schale belegt werden.
So, das sollte jetzt auch für die Super-Experten zunächst mal reichen. Über den Schulstoff geht das schon weit hinaus.
Edelgaszustand
Wenn die Atome eines Elementes eine voll besetzte Außenschale haben, bezeichnet man dies als Edelgaszustand.
Die Oktettregel
Aber warum sind die Edelgase so reaktionsträge? Die Antwort auf diese Frage formuliert sich fast von selbst: Offensichtlich ist der Edelgaszustand, also der Besitz einer voll besetzten Außenschale, etwas, was die Edelgase "zufriedenstellt". Mit ihrer voll besetzten Außenschale haben sie überhaupt kein Verlangen mehr, Elektronen aufzunehmen oder abzugeben. Sie haben den optimalen (energetisch günstigsten) Zustand erreicht.
Was ist nun mit den anderen Elementen, Natrium und Chlor beispielsweise?
Chlor hat sieben Elektronen auf seiner Außenschale. Hätte es ein Elektron mehr, so hätte es genau so viele Außenelektronen wie das Edelgas Argon. Ach, was wäre das toll! Ein einziges Elektron mehr, und man wäre ein Edelgas! Oder zumindest edelgasähnlich. Und genau aus diesem Grund hat Chlor das Bestreben, ein Elektron aufzunehmen. Es "möchte" den Edelgaszustand des Argons erreichen. Natürlich kann man kein Elektron aufnehmen, wenn man untätig herumsitzt. Man muss schon ein wenig aktiv werden. Chlor wird ziemlich aktiv, das Element geht alle möglichen chemischen Reaktionen ein, um seine Außenschale aufzufüllen.
Und damit wären wir auch schon bei der Oktettregel, die nämlich genau das besagt, was ich eben mit etwas lockeren Worten beschrieben habe:
Oktettregel
Alle Elemente sind bestrebt, eine voll besetzte Außenschale zu haben und dadurch den Edelgaszustand zu erreichen.
Wenden wir diese Oktettregel jetzt mal auf das Element Natrium an. Natrium hat ein Elektron auf seiner Außenschale. Also müsste das Natrium-Atom sieben Elektronen aufnehmen, um in den Edelgaszustand zu gelangen.
Aber nein doch, das geht viel einfacher.
Denken Sie sich jetzt mal die vier äußeren Kugelwolken des Natrium-Atoms weg, die ja mit nur einem Elektron besetzt sind. Was kommt darunter zum Vorschein? Richtig, die zweitäußere Schale, deren vier Kugelwolken volständigl mit Elektronen besetzt sind. Also ist es für das Natrium und die anderen Alkalimetalle doch der einfachste Weg zum Edelgaszustand, wenn sie ihr Außenelektron abgeben. Dann fällt die äußere Schale weg, und die zweitäußere Schale mit acht Elektronen (bzw. beim Lithium dann mit zwei Elektronen) wird zur neuen Außenschale. Fertig - der Edelgaszustand ist erreicht.
Die chemische Bindung als Lösung des Edelgasproblems
Das Problem ist jetzt nur Folgendes: Das Natrium "möchte" ein Elektron abgeben, muss dazu aber einen Partner finden, der ihm das Elektron abnimmt. Um dieses Ziel zu erreichen, gibt es drei Wege.
Weg 1: metallische BindungViele Natrium-Atome tun sich zusammen und geben ihre Außenelektronen an ein "Elektronengas" ab, das sich zwischen den Natrium-Atomrümpfen befindet. Ein solches Vorgehen führt zu der metallischen Bindung (siehe dort).
Weg 2: ElektronenpaarbindungEin Natrium-Atom verbindet sich mit einem anderen Atom, das ebenfalls eine einfach besetzte Kugelwolke besitzt. Die beiden einfach besetzten Kugelwolken überlappen sich, und es bildet sich eine gemeinsame, mit zwei Elektronen besetzte Kugelwolke. Dieses Vorgehen führt zu der kovalenten Bindung (Elektronenpaarbindung; siehe dort). Allerdings gibt es kaum kovalente Verbindungen des Natriums, weil der erste Weg und der dritte Weg viel günstiger sind.
Weg 3: IonenbindungEin Natrium- und ein Chlor-Atom tun sich zusammen. Das Natrium-Atom gibt sein Elektron ab, das Chlor-Atom nimmt das Elektron auf, und beide sind "glücklich". Das Natrium-Atom wird zum positiven Natrium-Kation mit Neon-Konfiguration, das Chlor-Atom wird zum negativen Chlorid-Anion mit Argon-Konfiguration. Beide Elemente haben so den Edelgaszustand erreicht. Die positiven und negativen Ionen ziehen sich an - und schon haben wir die Ionenbindung (siehe dort).
Auf den folgenden Seiten finden Sie Einzelheiten zu diesen drei Bindungsarten. Auf zwischenmolekulare Bindungen (van der Waals-, Dipol-Dipol- und Wasserstoffbrücken-Bindungen) werde ich an dieser Stelle nicht eingehen.