Attrappenversuche mit Erdkröten
Mit einer Erdkröte kann man schöne Versuche anstellen. Man setze die Erdkröte vor sich hin und halte ihr dann verschiedene Attrappen vor die Augen. Besteht die Attrappe aus einem waagerechten dunklem dicken Strich, so reagiert die Kröte mit einer für sie typischem Beutefang-Reaktion. Sie wendet sich der Attrape zu, die lange Zunge fährt aus und das Tier versucht, die vermeintliche Beute zu verschlingen.
Hält man der Kröte dagegen einen senkrechten dunklen dicken Strich als Attrappe hin, so reagiert sie mit einer Fluchtreaktion. Sie wendet sich von der Attrappe ab und versucht zu flüchten.
Physiologische Untersuchungen der Kröte ergaben nun, dass bereits in der Netzhaut erkannt wird, ob es sich bei der gesehenen Attrappe um eine waagerechte oder um eine senkrechte dunkle Form handelt. In der Netzhaut findet also eine Art Informationsverarbeitung statt, und zwar mit Hilfe sogenannter rezeptiver Felder, womit wir auch schon beim Thema dieser Seite wären.
Rezeptive Felder
Wie wird bereits im Abschnitt Weiterleitung der Information zum Gehirn gesehen haben, ist ein Photorezeptor der Netzhaut mit einer, zwei oder mehreren Bipolarzellen verbunden, diese wiederum sind mit einer, zwei oder mehreren Ganglienzellen verbunden. Erst in den Ganglienzellen werden Aktionspotenziale produziert, die dann über den Sehnerven zum Sehzentrum des Gehirns ziehen.
Rezeptives Feld = Gesamt aller Photorezeptoren, die über Bipolarzellen mit einer Ganglienzelle verbunden sind.
Das machen wir uns mal mit einer Schemazeichnung klar:
Hier sehen Sie - in stark schematisierter Form - eine Schaltskizze der wichtigsten Zelltypen der Netzhaut. Wie bereits im Text erläutert, ist jeder Photorezeptor (R) mit Bipolarzellen (B) verbunden, und jede Bipolarzelle ist mit Ganglienzellen (G) verknüpft. Die Ganglienzellen wiederum sind mit dem Sehzentrum des Gehirns (G) verbunden.
Blenden wir nun alle Zellen aus und markieren wir alle Photorezeptoren, die mit der linken Ganglienzelle verbunden sind, dann sehen wir das rezeptive Feld dieser Ganglienzelle:
Wir stellen fest, dass fast alle Photorezeptoren zum rezeptiven Feld der linken Ganglienzelle gehören. Fällt also Licht auf einen dieser sechs Photorezeptoren, so wird die Ganglienzelle nicht mehr gehemmt und sendet Aktionspotenziale zum Gehirn.
Wie sieht nun das rezeptive Feld der rechten Ganglienzelle aus?
Vergleicht man die beiden letzten Abbildungen, so kommt man zu einer sehr wichtigen Erkenntnis: Ein bestimmter Photorezeptor kann gleichzeitig mehreren rezeptiven Feldern angehören.
Erkennung von Linien
Wie kann nun in der Netzhaut eine einfache Mustererkennung mit Hilfe rezeptiver Felder realisiert werden? Dazu müssen wir die bisherige Darstellung stark vereinfachen aber gleichzeitig auf zwei Dimensionen erweitern. Betrachten wir die Netzhaut einmal von oben, und nicht mehr von der Seite wie bisher. Dann sehen wir vielleicht folgendes Bild:
Dies ist natürlich nur ein Ausschnitt aus einem winzigen Bereich der Netzhaut, außerdem wird die Tatsache, dass es viel mehr Stäbchen als Zapfen gibt, nicht entsprechend berücksichtigt. Es ist eben ein sehr einfaches Schema. Aber im Augenblick interessiert es uns auch gar nicht, ob es sich bei den Photorezeptoren um Zapfen oder Stäbchen, geschweige denn um Rot-, Grün- oder Blauzapfen handelt. Wir vereinfachen das Bild noch mehr und erhalten dann folgendes Schema:
Hier sind die Photorezeptoren gelb markiert, die zu einer bestimmten Ganglienzelle gehören. In der Netzhaut sind bestimmte Ganglienzellen für die Erkennung bestimmter Muster und Formen zuständig, zum Beispiel für senkrechte, waagerechte oder diagonale Striche oder für einfache Formen. Auch für Bewegungen nach links, rechts, oben oder unten gibt es bestimmte Ganglienzellen.
Wir wollen nun einmal durchspielen, wie eine Ganglienzelle funktioniert, die in der Lage ist, waagerechte Striche zu erkennen. Dabei denken wir natürlich an unser Fallbeispiel mit der Erdkröte, der eine waagerechte dunkle Attrappe gezeigt wird, die an eine Schlange erinnert und somit eine Fluchtreaktion auslöst.
Eine Ganglienzelle ist normalerweise mit vielen Photorezeptoren verknüpft - über die Bipolarzellen. Bei den sogenannten OFF-Ganglinenzellen ist die Verknüpfung so, dass die zentralen Photorezeptoren des rezeptiven Feldes (in der Abbildung oben die gelb markierten) die Ganglienzelle hemmen, so dass diese keine Aktionspotenziale zum Gehirn sendet. Die peripheren Photorezeptoren dagegen (in der Abbildung grau gezeichnet) aktivieren die Ganglienzelle, so dass Aktionspotenziale zum Gehirn geschickt werden.
Werden in unserem Beispiel alle Photorezeptoren abgedunkelt, zum Beispiel durch einen großen Schatten, so wird die Ganglienzelle nicht mehr durch die gelben Rezeptoren gehemmt, aber auch nicht durch die grauen Rezeptoren aktiviert. Im Grunde passiert nichts weiter; die Ganglienzelle meldet dem Gehirn nichts Neues. Aber es gibt garantiert andere Ganglienzellen, die auf einen großen dunklen Schatten reagieren und dem Gehirn eine entsprechende Meldung machen...
Fällt dagegen ein dünner waagerechter Schatten so auf das rezeptive Feld, dass nur die gelb markierten Sehzellen verdunkelt werden, nicht aber die grau markierten Zellen, so passiert folgendes. Die gelb markierten Zellen werden nicht belichtet, sie können also die OFF-Ganglienzelle nicht mehr hemmen. Die dunkel markierten Zellen dagegen werden belichtet, denn dort fällt der Schatten nicht hin. Sie können also die Ganglienzelle aktivieren. Diese speziele Ganglienzelle sendet jetzt also Aktionspotenziale zum Gehirn, wo dann die Fluchtreaktion ausgelöst wird.
Die Beutefang-Reaktion der Kröte wird durch senkrechte dunkle Attrappen ausgelöst. Hier kann man sich ein entsprechendes rezeptives Feld vorstellen, bei dem die Photorezeptorenanordnung um 90 Grad gedreht ist.