Kleine Populationen
Gerade bei kleinen Populationen gibt es immer wieder Umstände, bei denen ein Teil der Population stirbt, während ein anderer Teil überlebt. Bei einer Naturkatastrophe, zum Beispiel einer Überschwemmung oder einem Orkan, sterben sowohl gut an die Umwelt angepasste Individuen wie auch weniger gut angepasste Tiere oder Pflanzen; es hängt weniger von dem Grad der Anpassung als vielmehr vom Zufall ab, wer überlebt. Dieses Phänomen wird in der Fachliteratur als Gendrift bezeichnet.
Durch Gendrift wird zwar die genetische Zusammensetzung der Population verändert, und zwar erheblich, es entstehen dadurch aber keine neuen Allele. Im Gegenteil, ist kann sogar sein, dass die Anzahl der verschiedenen Allele reduziert wird. Dies würde dann sogar zu einer Verringerung der genetischen Variabilität führen. Daher könnte man jetzt darüber diskutieren, ob Gendrift überhaupt eine Rolle spielt bei der genetischen Variabilität.
Ein Argument für eine positive Rolle der Gendrift bei der Evolution könnte sein, dass durch das zufällige Aussterben bestimmter dominanter Allele vielleicht jetzt Individuum eine Chance bekommen, die bisher nicht zum Zuge gekommen sind. Durch den Wegfall bestimmter Phänotypen könnte es ja sein, dass andere, bisher eher benachteiligte Phänotypen plötzlich "aufblühen" können.
4. Horizontaler Gentransfer:
4.1 Bei Bakterien
Bei Bakterien können Individuen untereinander Gene austauschen, die zum Beispiel Resistenz gegenüber bestimmte Antibiotika verleihen. Dieser horizontale Gentransfer findet mit Hilfe von Plasmiden statt.
4.2 Bei höheren Organismen
Ob auch bei höheren Organismen ein solcher Gentransfer stattfindet, ist noch nicht ganz geklärt. Zumindest bei Pflanzen hat man Beispiele für einen horizontalen Gentransfer gefunden, allerdings nicht zwischen zwei Pflanzen, sondern von einem Bakterium auf eine Pflanze. Agrobacterium tumefaciens befällt Pflanzenzellen und überträgt dann Plasmide in die Wirtszellen. Diese Plasmide enthalten genetische Informationen, die die Pflanzenzelle umprogrammieren und zu Tumorwachstum führen. Dabei werden außerdem Nährstoffe produziert, die die Bakterien zum Wachstum brauchen.
Auch von manchen Viren nimmt man an, dass sie genetisches Material in das Genom von Pflanzen, Tieren und Menschen einbringen bzw. in der Vergangenheit eingebracht haben. Bekanntlich können sich manche Viren als Proviren in die DNA der Wirtszelle integrieren und werden dann bei jeder Zellteilung mitverdoppelt. Wenn eine infizierte Wirtszelle die neuen Viren in ihre Umgebung entlässt, kann es sein, dass Wirts-DNA in die Viren-DNA mit eingebaut wurde. Infiziert der Virus dann einen anderen Wirt, so kann auf diese Weise DNA von einem Tier auf ein anderes übertragen werden. Ob dieser theoretische Übertragungsweg tatsächlich in der Praxis auftritt, ist allerdings noch ungeklärt.
Ende 2008 ist ein Fall des horizontalen Gentransfers bei Kieselalgen bekannt geworden (Spektrum direkt vom 17.10.2008). Die Klasse der Kieselalgen wird in zwei Ordnungen unterteilt, nämlich die Pennales und die Centrales. An sich würde man erwarten, dass Vertreter von solchen Schwester-Ordnungen einen recht hohen Anteil gemeinsamer DNA haben. Das Gegenteil ist aber der Fall. Als man zwei Vertreter aus diesen beiden Ordnungen untersuchte, fand man nur 57% gemeinsame DNA. Das Genom der einen Kieselalge enthielt über 300 fremde Prokaryoten-Gene, die offensichtlich durch horizontalen Gentransfer übertragen worden sind. Auch das Genom der anderen Kieselalge enthielt viele Fremd-Gene, die aber von anderen Bakterien, Blaualgen etc. stammen. Der Anteil gemeinsamer "Kieselalgen"-DNA war daher extrem gering.
Genotypische Variabilität
Hauptursache für die genotypische Variabilität sind Rekombinationen; sie treten bei jedem sexuellen Fortpflanzungsakt auf. Allerdings können Rekombinationen keine neuen Allele oder gar Gene erzeugen. Es werden nur die bereits in der Population vorhandenen Allele neu verteilt.
Mutationen, vor allem vorteilhafte Mutationen, treten sehr viel seltener auf. Allerdings sind sie die einzige Quelle evolutiver Neuerungen. Nur durch Mutation eines vorhandenen Gens können neue Allele entstehen. Und nur durch Duplikation eines Gens können neue Gene entstehen, die dann unabhängig von dem Muttergen mutieren können.
Gendrift spielt hauptsächlich bei kleinen Populationen oder so genannten Gründerpopulationen eine Rolle, und horizontaler Gentransfer bei höheren Organismen ist noch sehr umstritten.