Konformation und Konstitution

Was man unter einer Konformation versteht, haben Sie bereits bei der Behandlung des Ethan-Moleküls gelernt. Ein anderer wichtiger Fachbegriff ist der Begriff der Konstitution.

Unter der Konstitution versteht man die Art und Weise, in der die Atome eines Moleküls verknüpft sind. Die Konstitution eines Moleküls kann man mit Worten beschreiben (verbal) oder durch eine Zeichnung (graphisch). Hier die verbale Beschreibung der Ethan-Konstitution:

"Zwei C-Atome sind durch eine Einfachbindung miteinander verbunden. Jedes der C-Atome ist mit drei H-Atomen verbunden."

Da es zwischen Kohlenstoff- und Wasserstoff-Atomen keine Doppel- oder Dreifachbindungen gibt, muss man bei der Beschreibung auch nicht erwähnen, dass die C-H-Bindungen Einfachbindungen sind. Bei Kohlenstoff-Atomen dagegen gibt es Einfach-, Doppel- und Dreifachbindungen. Hier muss man immer angeben, um welche Bindung es sich genau handelt.

Butan

Die Konstitution des Butan-Moleküls könnte man so beschreiben:

"Vier C-Atome sind durch drei Einfachbindungen zu einer Kette verbunden. Die beiden mittleren C-Atome sind außerdem mit je zwei H-Atomen verknüpft, während die beiden äußeren C-Atome mit je drei H-Atomen verbunden sind."

Eine Konstitution kann aber auch graphisch definiert werden, in der Regel benutzt man dazu Strukturformeln, Molekülmodelle oder Photos von Molekülmodellen. Wenn wir die Konstitution des Butans definieren, gibt es ein neues Phänomen. Dass ein Butan-Molekül viele verschiedene Konformationen haben kann, dürfte jedem klar sein, der schon einmal ein Butan-Modell gebaut hat. Man muss nur ein bisschen an einer C-C-Einfachbindung drehen, und schon hat man eine etwas andere Konformation. Aber wussten Sie, dass es auch zwei völlig verschiedene Konstitutionen des Butans gibt?

Es gibt zwei Konstitutionen für die Summenformel C4H10:

Hier sehen wir das "normale" Butan, das auch als n-Butan bezeichnet wird. Das Molekül sieht recht langgestreckt aus.

Auf diesem Bild sehen wir das 2-Methyl-propan, auch Isobutan genannt. Das Molekül sieht kompakter, ja fast schon kugelförmig aus. Was wir hier sehen, ist ein typisches Beispiel für Konstitutionsisomerie. Die beiden Verbindungen n-Butan und 2-Methyl-propan haben die gleiche Summenformel, aber die Atome sind völlig anders angeordnet.

Jetzt stellt sich die Frage, ob sich diese unterschiedliche Molekülgestalt - die unterschiedliche Struktur also - auf die Eigenschaften der Stoffe n-Butan und 2-Methyl-propan auswirkt. Die Siedepunkt dieser Verbindungen eignen sich besonder gut, um diese Struktur-Eigenschafts-Beziehungen zu untersuchen.

Siedepunkte der beiden isomeren Butane - Anwendung des Struktur-Eigenschafts-Konzepts

Nach dem Struktur-Eigenschafts-Konzept hängen die Eigenschaften eines Stoffes stark von seiner Struktur ab. Unter didaktischen Aspekten könnte man sagen, die Schüler(innen) sollen lernen, die Eigenschaften einer Verbindung mit Hilfe ihre molekulare Struktur zu erklären.

Das Isobutan hat nun eine eher "kugelförmige" Struktur, während das n-Butan eher langgestreckt ist.

Wie man auf der Graphik oben sieht, haben die langgestreckten n-Butan-Moleküle eine größere gemeinsame Kontaktfläche als die eher kugelförmigen Isobutan-Moleküle. Die Kontaktflächen sind in der Abbildung grün hervorgehoben. An diesen Kontaktflächen finden nun die van-der-Waals-Wechselwirkungen zwischen den einzelnen Molekülen statt (genau: die London-Wechselwirkungen). Beim n-Butan sind diese Wechselwirkungen größer also beim Isobutan, entsprechend höher sollte der Energiebetrag sein, der zum Auftrennen dieser Molekülverbände notwendig ist. Und das wiederum sollte sich in der höheren Siedetemperatur des n-Butans widerspiegeln.

Unsere Hypothese nach all diesen Überlegungen sollte also sein: Das n-Butan hat einen (deutlich?) höheren Siedepunkt als das Isobutan.

Schauen wir nach: Das n-Butan hat einen Siedepunkt von -0,50 ºC, und das Isobutan hat einen Siedepunkt von -11,7 ºC, liegt also deutlich darunter. Damit wäre also unsere Hypothese bestätigt.

Pentan

Während es nur zwei Isomere des Butans gibt, existieren drei Pentan-Isomere:

Oben links sehen wir das n-Pentan mit einem Siedepunkt von 36 ºC, oben rechts das Methyl-butan mit einem Siedepunkt von 28 ºC, und unten links das Dimethyl-propan mit einem Siedepunkt von nur 9,5 ºC. Diese Staffelung der Siedetemperaturen bestätigt das, was wir bereits bei den beiden Butanen herausgefunden hatten: Je kompakter bzw. kugelähnlicher die Moleküle sind, desto geringer die Kontaktflächen zwischen den Molekülen, desto geringer die intermolekularen Anziehungskräfte, desto weniger Energie muss zum Verdampfen aufgewandt werden und desto geringer ist der Siedepunkt.

Sie fragen sich jetzt vielleicht, warum ich die Bezeichnung Methyl-butan gewählt habe und nicht 2-Methyl-butan? Oder warum Dimethyl-propan und nicht 2,2-Dimethyl-propan? Ganz einfach: Es gibt nur ein Methyl-butan, nämlich das 2-Methyl-butan. Ein 1-Methyl-butan wäre nichts anderes als n-Pentan, und ein 3-Methyl-butan ist identisch mit dem 2-Methyl-butan. Also muss man die Stellung der Methylgruppe eigentlich gar nicht angeben, die Bezeichnung Methyl-butan ist eindeutig. Gleiches gilt für das 2,2-Dimethyl-propan. Wenn am Propan-Grundgerüst zwei Methylgruppen hängen, können sie sich nur am mittleren C-Atom befinden.

Hexan

Wir wollen unsere Hypothese an einem zweiten Beispiel überprüfen.

Von den drei abgebildeten Hexanen hat das n-Hexan mit 69 ºC den höchsten Siedepunkt. Die Kontaktflächen zwischen den langgestreckten Molekülen sind recht groß, daher herrschen auch verhältnismäßig starke London-Wechselwirkungen zwischen den Molekülen. Das 3-Methyl-pentan ist schon etwas kompakter gebaut, entsprechend sind die Kontaktflächen und damit die intermolekularen Wechselwirkungen kleiner. Das erklärt auch den niedrigeren Siedepunkt von nur 63 ºC. Das 2,2-Dimethyl-butan schließlich hat schon fast eine kugelförmige Gestalt. Somit ist auch die Kontaktfläche zwichen einzelnen Molekülen sehr gering, und das erklärt den sehr niedrigen Siedepunkt von nur 50 ºC.

Unsere Hypothese, dass die Siedepunkte der Alkane von der Kontaktfläche zwischen den Molekülen abhängen, hat sich also bestätigt. Ein mathematisch exakter Beweis ist das natürlich noch nicht, aber die Chemie ist ja auch keine Mathematik.