Viele farbige Moleküle gehören nicht zu den einfachen Polyenen, sondern sind komplizierter aufgebaut, besitzen zum Beispiel zusätzliche funktionelle Gruppen. Funktionelle Gruppen, welche bei Chromophoren die Absorption von Licht beeinflussen, werden auch als Auxochrome oder Antiauxochrome bezeichnet. Chromophore sind wörtlich übersetzt "Farbträger". Man versteht darunter den Teil eines organischen Moleküls, der für die Absorption von Licht verantwortlich ist. Bei den bisher behandelten Polyenen ist das gesamte Molekül für die Lichtabsorption zuständig. Bei anderen Verbindungen gibt es spezielle Bereiche, die Licht absorbieren. Auch funktionelle Gruppen, die Licht absorbieren, werden als Chromophore bezeichnet. Ein bekanntes Beispiel ist die Carbonylgruppe. Die C=O-Gruppe selbst absorbiert zwar kein sichtbares Licht, sondern nur kurzwelliges UV-Licht, kann aber die Lichtabsorption anderer Chromophore im Molekül stark beeinflussen. Wie das geschieht, wird im nächsten Abschnitt erklärt, der allerdings Kenntnis des Orbitalmodells sowie der MO-Theorie voraussetzt.

Die C=O-Gruppe als Chromophor

Die Carbonylgruppe besteht bekanntlich aus einem C-Atom und einem O-Atom, beide sind durch eine Doppelbindung miteinander verbunden. Das O-Atom besitzt außerdem zwei freie Elektronenpaare. Nach dem Orbitalmodell sind beide Atome sp2-hybridisiert, stellen also je ein einfach besetztes pz-Orbital zur Verfügung, so dass neben der sigma-Bindung auch eine pi-Bindung zwischen dem O-Atom und dem N-Atom entstehen kann.

Nach der MO-Theorie kann man der pi-Bindung zwei Molekülorbitale zuordnen, ein bindendes pi-Orbital und ein anti-bindendes pi-Orbital. Beide MOs sind in der obigen Abbildung eingezeichnet. Bei einer C=C-Doppelbindung könnten wir an dieser Stelle Schluss machen; das Energiediagramm wäre komplett. Wir haben es aber nicht mit einer C=C-Doppelbindung zu tun, sondern mit einer C=O-Doppelbindung. Wir müssen auch die beiden freien Elektronenpaare des O-Atoms berücksichtigen. Nach der MO-Theorie bilden diese beiden freien Elektronenpaare sogenannte n-Orbitale. Da die freien Elektronenpaare keinen Beitrag zu einer chemischen Bindung leisten, liegt das Energieniveau dieser n-Orbitale genau in der Mitte zwischen den bindenden und anti-bindenden pi-Orbitalen. Allerdings sind die beiden n-Orbitale mit je zwei Elektronen besetzt.

Und jetzt kommt der entscheidende Beitrag zur Farbstoffchemie: Die n-Orbitale sind die höchsten besetzten Molekülorbitale (HOMOs), und der Abstand zum LUMO (anti-bindendes pi-Orbital) ist sehr gering. Das heißt also, das bereits recht energiearmes langwelliges Licht ausreicht, um ein n-Elektron in das anti-bindende pi-Orbital zu befördern.

Wie man auf dieser Abbildung gut sehen kann, absorbiert die Verbindung 3-Buten-2-on langwelligeres Licht als die Verbindung Butadien, die wir bereits kennengelernt hatten. Das liegt an dem Effekt der C=O-Gruppe. Die Elektronen der freien Elektronenpaare des O-Atoms lassen sich viel leichter in ein LUMO befördern als die Elektronen der C=C-Doppelbindungen oder der C=O-Doppelbindung.

Auxochrome, Antiauxochrome und bathochromer Effekt

Auxochrome

Auxochrome sind funktionelle Gruppen, welche die Lichtabsorption eines Farbstoff-Moleküls oder eines Chromophors (einer färbenden Gruppe) zum längwelligeren Bereich des Spektrums verschieben (Wikipedia). In der Regel hat eine auxochrome Gruppe gleichzeitig einen +I-Effekt, schiebt also Elektronen in den Chromophor hinein und erhöht dort die Elektronendichte. Auxochrome sind also Elektronen-Donatoren!

Diese Erhöhung der Elektronendichte sorgt dann für eine stärkere Delokalisierung der pi-Elektronen, und das wiederum führt dazu, dass sich diese Elektronen leichter anregen lassen, also durch längerwelliges Licht. Bereits Gruppen, die lediglichen einen +I-Effekt bewirken, haben einen auxochromen Effekt. Verstärken lässt sich dieser Effekt, wenn die auxochrome Gruppe zusätzlich einen +M-Effekt hat, wenn sich also die Anzahl der Grenzstrukturen des Farbstoff-Moleküls durch die auxochrome Gruppe erhöht.

Beispiele für Auxochrome sind die OH-Gruppe, die NH2-Gruppe, ein negativ geladenes O-Atom oder eine Phenyl-Gruppe (also ein Benzolring).

Antiauxochrome

Wenn Auxochrome Elektronen-Donatoren sind, die die Elektronendichte im delokalisierten System erhöhen, dann werden Anti-Auxochrome wohl Elektronen-Akzeptoren sein, welche die Elektronendichte erniedrigen. Durch den Einfluss von Antiauxochromen sollte die Farbigkeit einer organischen Verbindung also eigentlich abnehmen, da kürzerwelliges Licht für einen HOMO -> LUMO-Übergang benötigt wird. Gute Beispiele für Antiauxochrome sind die Nitrogruppe und die Carbonylgruppe.

Bathochromer Effekt

Unter diesem Fachbegriff versteht man allgemein eine Farbvertiefung, also eine Verschiebung des Absorptionsmaximums eines Farbstoffes in den längerwelligen Bereich. Auxochrome wie -OH oder -NH2 bewirken einen solchen bathochromen Effekt, Antiauxochrome bewirken an sich das Gegenteil, also eine Blauverschiebung.

Ein berühmtes Beispiel sind die Farbstoffe Indigo und Purpur. Indigo ist ein bekannter blauer Farbstoffe, der vor allem durch das Färben von Jeans bekannt geworden ist. Purpur hat fast die gleiche Strukturformel wie Indigo, besitzt aber zwei zusätzliche Brom-Atome. Diese beiden Brom-Atome bewirken, dass die Verbindung kürzerwelliges Licht absorbiert als Indigo. Einen solchen farbabschwächenden Effekt bezeichnet man auch als hypsochromen Effekt.

Allerdings können Antiauxochrome den Effekt von Auxochromen eigenartigerweise verstärken, nämlich dann, wenn ein Auxochrom von einer Seite Elektronen in den Chromophor "hineinschiebt" (+I-, +M-Effekte), während gleichzeitig ein Antiauxochrom von der anderen Seite Elektronen aus dem Chromophor "herauszieht (-I-, -M-Effekte). Hier ein bekanntes Beispiel aus einem bekannten Schulbuch (Schroedel, Chemie heute):

Wie man auf dieser Abbildung gut sehen kann, schiebt die linke $N(CH_{3})_{2}-$ Gruppe Elektronen in das pi-Elektronensystem hinein ("push"), während die rechte $N(CH_{3})_{2}^{+}-$ Gruppe Elektronen herauszieht ("pull). Dieser "push-pull-Effekt" führt dazu, dass der Farbstoff sichtbares Licht absorbiert, obwohl er nur drei Doppelbindungen besitzt.