Temperatur und Reaktionsgeschwindigkeit

Wie wohl jeder weiß, kann man chemische Vorgänge durch Erhitzen beschleunigen. In heißem Tee löst sich Zucker schneller auf als in kaltem Kaffee. Umgekehrt kann man chemische und biochemische Prozesse durch Abkühlen verlangsamen, warum sonst legt man seine leicht verderblichen Lebensmittel in den Kühl- oder Gefrierschrank?

RGT-Regel

Bereits Ende des 19. Jahrhunderts hat der Chemiker Jacobus VAN'T HOFF Experimente zu diesem Thema durchgeführt und dabei die RGT-Regel aufgestellt: Eine Temperaturerhöhung von 10 Grad Celsius führt normalerweise zu einer Verdopplung bis Verdreifachung der Geschwindigkeit chemischer und biochemischer Reaktionen. Zumindest dann, wenn "normale" Temperaturen herrschen, also so zwischen 0 und 200 Grad Celsius.

Wie kommt es aber dazu, dass die Temperatur einen solch starken Einfluss auf die Geschwindigkeit chemischer (und physikalischer) Vorgänge hat?

Stoßtheorie der Reaktionsgeschwindigkeit

Erfolgreiche und nicht erfolgreiche Stöße

Bei der Stoßtheorie der Reaktionskinetik geht man davon aus, dass die Teilchen der Ausgangstoffe aus kleinen, massiven Kügelchen bestehen. Jedes Teilchen hat eine bestimmte Masse, eine bestimmte Geschwindigkeit und eine bestimmte Bewegungsrichtung.

Damit es zu einer chemischen Reaktion zwischen zwei Teilchen kommt, müssen diese zusammenstoßen. Aber nicht bei jedem Zusammenprall kommt es zur Reaktion. Manche Zusammenstöße sind nicht energiereich genug.

Ein wichtiger Faktor, von dem die Energie eines Zusammenpralls abhängt, ist die Geschwindigkeit der Teilchen. Stoßen zwei Teilchen mit hoher Geschwindigkeit zusammen, so ist dieser Stoß sehr energiereich. Vielleicht energiereich genug, um zu einer chemischen Reaktion zu führen.

Stoßen die beiden Teilchen dagegen mit geringrn Geschwindigkeit zusammen, so passiert nicht viel. Die Teilchen prallen voneinander ab, erhalten eine neue Bewegungsrichtung, und das war's dann auch schon. Der Stoß war nicht energiereich genug für eine Reaktion.

Die Geschwindigkeit der Teilchen ist also der entscheidende Faktor. Und damit auch die Temperatur, denn die Temperatur wirkt sich direkt auf die Geschwindigkeit der kleinsten Teilchen aus.

Genauso wichtig ist aber auch der Stoßwinkel, in dem die beiden Teilchen zusammenprallen. Wenn zwei sehr schnelle Teilchen in einem spitzen Winkel zusammenprallen, so ist dieser Stoß dennoch nicht energiereich genug. Prallen dagegen zwei etwas langsamere Teilchen frontal aufeinander, so kann es durchaus zu einer Reaktion kommen.

Der Einfluss der Temperatur auf die Geschwindigkeit von Teilchen

Je höher die Temperatur, desto schneller bewegen sich die Teilchen im Reaktionsgemisch, und desto wahrscheinlicher ist es, dass ein Zusammenstoß zweier Teilchen "erfolgreich" ist.

Betrachten wir nun folgende Abbildung:

Links sehen wir die Geschwindigkeitsverteilung der Teilchen in einem Gas. Die meisten Teilchen bewegen sich mit einer mittleren Geschwindigkeit. Es gibt aber auch langsamere und schnellere Teilchen. Ein kleiner Teil der Teilchen ist so schnell, dass beim Zusammenstoß solcher Teilchen eine Reaktion stattfindet. Dieser Anteil der Teilchen - ca. 10% - ist in der Abbildung rot unterlegt. Die gelb unterlegten Teilchen sind zu langsam für eine Reaktion.

Rechts sehen wir die Auswirkung einer Temperaturerhöhung um 40 Grad. Die Gesamtanzahl der Teilchen ändert sich dadurch natürlich nicht. Wohl aber die Verteilung der Geschwindigkeiten. Es gibt nun viel mehr Teilchen, die die "kritische" Geschwindigkeit überschreiten. Der rotgezeichnete Anteil ist deutlich größer geworden, er beträgt jetzt ca. 50%. Es gibt also fünfmal so viele Teilchen, die beim Zusammenstoßen "erfolgreich" sind.