Lage des Riechsinns beim Menschen

Zunächst einmal wollen wir uns grob orientieren, wo der Riechprozess in der menschlichen Nase eigentlich stattfindet.

Auf der Abbildung sieht man die Nasenhöhle im Längsschnitt. Die Riechschleimhaut befindet sich ziemlich weit oben am Dach der Nasenhöhle. Zwischen Nasenhöhle und dem Gehirn befindet sich ein poröser Knochen, das Siebbein. Oberhalb des Siebbeins liegt der Riechkolben, eine Ausstülpung des Gehirns. Riechschleimhaut und Riechkolben sind durch viele Nervenfasern miteinander verbunden, die durch das poröse Siebbein ziehen.

Die Riechschleimhaut

Hier sieht man unten im Bild einen Ausschnitt aus der Riechschleimhaut; die acht eingezeichneten Sinneszellen stehen in Wirklichkeit für Tausende von Riechrezeptoren. Die Poren im Siebbein sind gut zu erkennen, auch sieht man hier, wie sich die Axone der Riechsinneszellen durch diese Poren ziehen und mit zwei Nervenzellen des Riechkolbens verbunden sind. Diese beiden Nervenzelle stehen auch stellvertretend für Tausende von solchen Neuronen.

Was man auf dem Bild auch schon ganz gut erkennen kann, ist die Tatsache, dass jedes Riechkolben-Neuron mit mehreren Riechsinneszellen verbunden ist. Hier haben wir ein Beispiel für das Prinzip der Konvergenz: Viele Sinneszellen projizieren ihre Informationen auf wenige Interneurone. Die Interneurone können so die Informationen von mehreren Sinneszellen gleichzeitig auswerten und verrechnen. Das Ergebnis senden sie dann weiter zu bestimmten Gehirnzentren.

Die Riechsinneszellen

Hier sehen wir eine Riechsinneszelle. Links das Axon, das durch eine Pore des Siebbeins zieht, rechts die Riechcilien, mit denen die Riechsinneszelle Duftstoffe wahrnehmen kann.

Der Transduktionsprozess

Den Transduktionsprozess habe ich Ihnen in einer Reihe von Einzelbildern aufbereitet. Einen Film, der diese Bilder (und noch einige mehr) in einer Sequenz ablaufen lässt, können Sie sich hier herunterladen. Schauen wir uns zunächst einmal die Ausgangssituation an.

Hier sehen wir einen Ausschnitt aus der Membran einer Riechcilie. In die Membran sind Rezeptorproteine eingebettet, die einen bestimmten Duftstoff nach dem Schlüssel-Schloss-Prinzip aufnehmen können. Beim Menschen hat man ca. 4.000 verschiedene Rezeptorproteine für Duftstoffe gefunden; ein großer Teil unserer Gene ist für die Codierung dieser Rezeptorproteine verantwortlich. Auf jedem einzelnen unserer 23 Chromosomen finden sich mehrere Gene für Rezeptorproteine. Der Riechsinn ist einer der ältesten und wichtigsten Sinne der Säugetiere, der Reptilien, der Amphibien und der Fische.

Das Rezeptorprotein ist auf der Innenseite der Zellmembran mit einem G-Protein gekoppelt, das seinerseits mit einer Adenylatcyclase verbunden ist. Eine Synapse, die auf ähnliche Weise funktioniert, hatten wir im Kapitel "Synapsen mit second messengern" kennen gelernt. Bei diesen Synapsen wurde das Rezeptorprotein vom Neurotransmitter der präsynaptischen Zelle aktiviert, die Adenylatcyclase stellte daraufhin cAMP aus ATP her, und das cAMP setzte sich an die Natrium-Kanäle, die sich daraufhin öffneten und Natrium-Ionen in die Zelle strömen ließen, was dann eine Depolarisierung auslöste. Sollte der Transduktionsprozess in der Membran der Riechcilien auf ähnliche Weise funktionieren? Schauen wir erst mal weiter…

Tatsächlich, bisher stimmen die beiden Prozesse überein. Das durch den Duftstoff aktivierte Rezeptorprotein aktiviert G-Proteine, diese wiederum aktivieren Adenylatcyclasen, welche cAMP herstellen. In Wirklichkeit haben wir es mit einer Reaktionskaskade zu tun: Jedes aktivierte Rezeptorprotein aktiviert viele Moleküle des G-Proteins, und jedes G-Protein aktiviert viele Adenylatcyclase-Moleküle, so dass ein einziges Duftstoff-Molekül zur Produktion von vielen Tausend cAMP-Molekülen führen kann - ein typischer Verstärkungseffekt.

Das letzte Bild dieser Serie zeigt nun, wie sich die cAMP-Moleküle auf der Innenseite der Membran an Natrium-Kanäle setzen. Diese öffnen sich, und Natrium-Ionen strömen mit dem Konzentrations- und Ladungsgradienten mit Macht in die Zelle. Dieser Natrium-Ionen-Einstrom bewirkt dann die Depolarisierung der Membran der Riechcilie. Es entsteht ein Rezeptorpotenzial (vergleichbar mit einem EPSP, nur handelt es sich hier ja nicht um eine postsynaptische Membran, sondern um die Membran eines Rezeptors, einer Sinneszelle, daher spricht man von einem Rezeptorpotenzial), das sich ähnlich wie ein EPSP wellenförmig über die gesamte Nervenzelle ausbreitet und dabei räumlich und zeitlich abschwächt.

Rolle der Chlorid-Ionen

Die eingeströmten Calcium-Ionen haben zwei verschiedene Aufgaben. Zum einen sorgen sie zusammen mit den eingströmten Natrium-Ionen für eine Depolarisierung der Membran der Riechcilie. Zum andern sind Calcium-Ionen - ähnlich wie cAMP-Moleküle - sekundäre Botenstoffe in der Zelle. Ein Teil der Calcium-Ionen setzt sich jetzt an Chlorid-Kanäle und öffnet diese.

Ein Schüler, der gut im Unterricht aufgepasst hat, würde jetzt sagen: "Moment mal, wenn sich die Chlorid-Kanäle öffnen, strömen doch negativ geladene Chlorid-Ionen in die Zelle ein und verringern die Depolarisierung wieder. So was Ähnliches haben wir doch im Zusammenhang mit hemmenden Synapsen kennengelerent, IPSP und so weiter...".

Tatsächlich hätte dieser sehr aufmerksame Schüler Recht. Bei einer normalen Nervenzelle herrscht im Zellinneren eine viel geringere Chlorid-Konzentration als im Außenmedium, und Chlorid-Ionen würden sofort in die Zelle einströmen, wenn sich die Chlorid-Kanäle öffnen. Bei Riechsinneszellen ist es aber völlig anders. In der Membran von Riechsinneszellen sitzen nämlich ATP-getriebene Chlorid-Pumpen, die nichts anderes tun, als ständig jede Menge Chlorid-Ionen in die Zelle hineinzupumpen. Dadurch ist die Chlorid-Ionen-Konzentration im Zellinnern viel höher als im Außenmedium. Wenn nun die Calcium-Ionen an die Chlorid-Kanäle andocken, öffnen sich die Chlorid-Kanäle und Chlorid-Ionen strömen in Richtung des Konzentrationsgradienten nach außen. Die Depolarisierung der Zelle verstärkt sich dadurch erheblich.

Adaption

Wenn man sich für eine längere Zeit in einem überfüllten Raum aufhält, gewöhnt man sich an den unangenehmen Geruch, man nimmt ihn schließlich gar nicht mehr war. Eine solche Adaption ist ein durchaus komplexer Vorgang, daher erkläre ich ihn auf einer eigenen Vertiefungsseite, die vielleicht für Leistungskursschüler ganz interessant ist.

Zeitliche und räumliche Summation

Wenn nur ein Duftstoff-Molekül an einen Rezeptor andockt, muss das noch nicht zur Ausbildung von Aktionspotenzialen am Axonhügel des Duftrezeptors führen. Obwohl es bei manchen Tieren offensichtlich vorkommt, dass bereits wenige Moleküle Duftstoff zu einer Reaktion führen, wenn man beispielsweise an Schmetterlinge und die von den Weibchen abgesonderten Pheromone denkt, die von den Männchen über viele Kilometer Entfernung noch wahrgenommen werden.

An sich hat ein Duftrezeptor aber viele Rezeptorproteine in der Membran seiner Riechcilien, und wenn mehrere Duftstoff-Moleküle gleichzeitig andocken, kommt es zu einer Art räumlicher Summation, so dass der Schwellenwert am Axonhügel erreicht wird. Auch eine zeitliche Summation ist möglich, wenn also Duftstoff-Moleküle mehrmals an das gleiche Rezeptorprotein andocken.

Wenn das Rezeptorpotenzial am Axonhügel des Duftrezeptors noch groß genug ist, werden Aktionspotenziale ausgelöst, die am Axon der Riechsinneszelle entlangwandern, durch das Siebbein hindurch und schließlich zu den Synapsen im Riechkolben gelangen, wo sie über die Ausschüttung von Neurotransmittern die dortigen Nervenzellen aktivieren.

Rezeptorproteine, Nachtrag

Eine Riechsinneszelle besitzt nicht verschiedene Rezeptorproteine für verschiedene Duftstoffe, sondern alle Rezeptorproteine einer Riechsinneszelle sind gleich. Riechsinneszellen spezialisieren sich also auf einen Duftstoff.

Zwei benachbarte Riechsinneszellen haben aber normalerweise unterschiedliche Rezeptorproteine, können also unterschiedliche Duftstoffe wahrnehmen.

Insgesamt gibt es beim Menschen ca. 4.000 solcher Rezeptorproteine. Kaum ein Rezeptorprotein arbeitet hundertprozentig nach dem Schlüssel-Schloss-Prinzip. Die meisten Rezeptorproteine können mehrere verschiedene Duftstoffe wahrnehmen, auf manche reagieren sie besonders empfindlich, auf andere weniger empfindlich.

Die Anzahl der Düfte, die der Mensch wahrnehmen kann, ist aber viel größer als die paar Tausend Duftstoffrezeptoren. Amerikanische Wissenschaftler haben durch aufwändige Versuche im Jahre 2014 herausgefunden, dass der Mensch wahrscheinlich mehr als eine Billion Düfte unterscheiden kann.

Offensichtlich werden im Riechkolben die Informationen der einzelnen Riechsinneszellen miteinander verrechnet. Wie das geschieht, habe ich auf einer speziellen Vertiefungsseite erläutert.