Unter dem Fachbegriff "sympatrische Artbildung" versteht man die Bildung von zwei Arten, ohne dass vorher eine räumliche Trennung stattgefunden haben muss.
Dieser Begriff ist übrigens recht umstritten. Einige Biologen, allen voran der berühmte Ernst MAYR, auf den beispielsweise der biologische Artbegriff zurückgeht, bestreiten, dass es eine sympatrische Artbildung bei Vögeln oder Säugetieren überhaupt gibt.
Genetische Separation
Bei Pflanzenarten kommt es recht häufig zur Bildung von Hybriden (Mischlingen), die dann aber unfruchtbar sind. In der folgenden Abbildung sieht man schematisch eine solche Hybridbildung.

- Die beiden Pflanzenarten haben unterschiedliche Chromosomenzahlen. Die eine Art hat einen diploiden Chromosomensatz von 2n = 2, bei der anderen Art ist 2n = 4, sie hat also zwei verschiedene Chromosomen in jeweils einer väterlichen und einer mütterlichen Ausführung.
- Entsprechend haben die Keimzellen einen bzw. zwei Chromosomen.
- Bei der Hybridisierung entsteht eine Zygote mit drei Chromosomen.
- Die Pflanze ist geschlechtsreif und versucht eigene Keimzellen zu bilden. Bei der Paarung der homologen Chromosomen während der Meiose findet das "kurze" Chromosom keinen Partner.
- Die Meiose scheitert, es werden keine Keimzellen gebildet.
Aus diesem Grund sind viele Pflanzenhybriden unfruchtbar. Wenn sich jedoch eine Genommutation ereignet, bei der sich der Chromosomensatz plötzlich verdoppelt (6.), dann kann die Paarung der homologen Chromosomen während der Meiose problemlos ablaufen (7.); jedes Chromosom findet einen Partner, und die Bildung von Keimzellen (8.) ist kein Problem mehr.
Durch eine - auf den ersten Blick schädliche Genommutation - kann also aus einer unfruchtbaren Pflanze eine fruchtbare entstehen. Allerdings kann sich diese tetraploide Pflanze (vierfacher Chromosomensatz) nur mit anderen Individuen fruchtbar fortpflanzen, die ebenfalls einen tetraploiden Chromosomensatz haben. Über Nacht ist quasi eine neue Art entstanden, ohne dass vorher eine geographische Separation notwendig gewesen wäre.
Ökologische Separation
In seinem Buch "Das ist Evolution" (München 2003) schreibt Ernst Mayr Folgendes:
"In den fünfziger Jahren des 19. Jahrhunderts entwickelte Darwin eine Vorstellung von der Artbildung, die sich auf ökologische Auseinanderentwicklung stützte. Er postulierte, dass verschiedene Individuen einer Population, die eine Vorliebe für unterschiedliche Nischen entwickeln, nach vielen Generationen zu neuen Arten werden".
Und dann kommt ein Satz, der mich persönlich am meisten überrascht hat - steht doch in fast allen Schulbüchern und auch Fachbüchern die allopatrische Artbildung an erster Stelle:
"Derartige Vorstellungen waren mehr als 80 Jahre lang die am weitesten anerkannte Theorie der Artbildung überhaupt".
Im Jahre 1942 hat Mayr dann aber nachgewiesen, dass bei Säugetieren und Vögeln sympatrische Artbildung keine Rolle spielt, sondern dass bei diesen beiden Tiergruppen ausschließlich allopatrische Artbildung vorkommt. Bei Insekten, Fischen und anderen Tieren sowie bei Pflanzen kann eine sympatrische Artbildung durck ökologische Separation (Einnischung) aber durchaus eine wichtige Rolle spielen, so Mayr.
Wenn in einer Population eine starke innerartliche Konkurrenz herrscht (wie beispielsweise in der Sättigungsphase des logistischen Wachstums), suchen sich einige Individuen eine andere Nahrungsquelle. Wenn sie sich dabei von der Hauptpopulation räumlich trennen, haben wir den Beginn einer allopatrischen Artbildung. Aus der ökologischen Separation wird (zusätzlich) eine geographische Separation.
Es kann aber auch sein, dass die Individuen in der gleichen Region verbleiben wie die Hauptpopulation, sich aber eine andere ökologische Nische suchen. Häufig ist eine solche Einnischung für die Evolution der Population folgenlos; die Tiere paaren sich trotz der neuen Nahrungsgewohnheiten weiterhin mit Tieren der Hauptpopulation, nur zur Nahrungssuche sondern sie sich quasi ab.
Man könnte sich - nur um das mal zu illustrieren - eine Population von Antilopen vorstellen, von denen einige Individuen tagsüber Gras fressen, während andere Individuen tagsüber die Blätter von Büschen fressen. Der eine Teil der Tiere hält sich hauptsächlich dort auf, wo es viel Gras gibt, der andere Teil dort, wo viele Büsche in der Gegend herumstehen. Am späten Nachmittag treffen sich die Tiere dann wieder und verbringen einen gemütlichen Abend…
Stellen wir uns nun aber ein anderes Beispiel vor, und zwar kleine Insekten, die ihre Flugfähigkeit verloren haben, und sich von Algen, Flechten und Ähnlichem ernähren. An sich lebt die Population auf dem Boden eines Waldes, weil dort optimale Bedingungen herrschen. Die Population wächst und gedeiht, sie wird immer größer. Nach einiger Zeit wird die Nahrung knapp, und die Konkurrenz zwischen den Tieren größer. Einige besonders wagemutige Tiere beginnen, Algen und Flechten von den Bäumen abzuweiden. Sie klettern dazu ein paar Zentimeter an den Baumstämmen hoch und erhalten dadurch wieder genügend Nahrung. Diese Verhaltensänderung "spricht sich herum", und viele andere Individuen machen es den Pionieren nach. Der Konkurrenzdruck nimmt wieder zu. Jetzt wird es wieder einige Individuen geben, die noch weiter nach oben klettern und dort nach Nahrung suchen.
Ein paar Generationen später finden wir folgende Situation vor: Die Hälfte der Insekten sucht weiterhin am Boden nach Nahrung, und die andere Hälfte sucht weit oben in den Bäumen nach Fressbarem. Das Hoch- und Runterklettern ist ziemlich anstrengend, daher bleiben die "Bauminsekten" oben im Baum. Sie fressen nicht nur oben im Baum, sondern schlafen und paaren sich dort. Die "Bodeninsekten" dagegen fressen, schlafen und paaren sich auf dem Boden.
Aus der ökologischen Separation ist jetzt auch eine räumliche Separation geworden (von einer "geographischen Separation" zu sprechen, wäre hier sicherlich übertrieben). Durch die unterschiedliche Einnischung ist es zu einer getrennten Entwicklung der beiden Populationen gekommen. Mutationen, die sich in der Baumpopulation ausbreiten, haben keine Auswirkung auf die Bodenpopulation, und Mutationen, die sich in der Bodenpopulation ausbreiten, sind in der Baumpopulation wirkungslos.
Ich persönlich bringe meinen Schülern immer bei, dass sie zwischen Isolationsmechanismen und Separation unterscheiden.
Separation = Trennung einer Population in zwei Teilpopulationen, zum Beispiel durch geographische Schranken, durch unterschiedliche Einnischung oder Ähnliches. Die Separation führt dann zur Unterbrechnung des Genflusses.
Isolationsmechanismen = Mechanismen, die sich im Laufe der getrennten Entwicklung der beiden Populationen gebildet haben und die eine fruchbare Fortpflanzung zwischen Individuen der beiden Populationen verhindern.
Somit ist also die Separation die Ursache, und die Bildung von Isolationsmechanismen die Folge.