Ein einfacher Versuch
Ich beginne meinen Unterricht in der Unterrichtsreihe über Elektrochemie in der Stufe Q1 immer mit dem Eisennagel-Versuch. Er ist recht einfach durchzuführen, erlaubt aber bereits viele Einsichten in die Grundlagen der Elektrochemie.
Versuch 1A
Durchführung:
- Füllen Sie ein kleines Becherglas mit Kupfersulfatlösung und stellen Sie dann einen sauberen Eisennagel in die Lösung.
- Beobachten Sie den Eisennagel über einen Zeitraum von ca. 5 Minuten.
Beobachtungen:
Auf dem Eisennagel bildet sich mit der Zeit ein rotbrauner Belag, der wie Rost aussieht.
Modifizierung (Versuch 1B):Statt des Eisennagels nimmt man einen großen Bausch Eisenwolle, und statt der bereitgestellten Kupfersulfatlösung nimmt man eine stark verdünnte Kupfersulfatlösung, bei der allerdings die blaue Farbe noch deutlich erkennbar sein muss.
Man füllt ein größeres Becherglas mit dieser verdünnten CuSO4-Lösung und gibt dann die Eisenwolle in das Becherglas. Wenn die Eisenwolle noch recht "frisch" ist (also so gut wie nicht oxidiert), sieht man sofort, wie sie sich mit einem kupferfarbenem Belag überzieht. Nach ca. 5 Minuten hat sich die hellblaue Kupfersulfatlösung in eine schmutzig-gelbe "Brühe" verwandelt.
Deutung
Kommen wir nun zur Deutung dieses Versuchs. Zunächst die einfache Deutung, wie man sie vielleicht auch schon in der Klasse 8 oder 9 besprochen hat.
Einfache Deutung (Sekundarstufe I)Die Eisen-Atome geben zwei Elektronen an die Kupfer-Ionen ab, dabei werden die Eisen-Atome zu zweiwertig positiven Eisen-Ionen, während die zweiwertig positiven Kupfer-Ionen zu neutralen Kupfer-Atomen werden. Als Reaktionsgleichung ausgedrückt sieht das dann so aus:
$Cu^{2+}_{(aq)} + Fe_{(s)} \to Fe^{2+}_{(aq)} + Cu_{(s)}$Falls der Browser die Formeln auf dieser Seite nicht richtig darstellt, wurde die Erweiterung MathJax nicht korrekt geladen. Entweder ist der Browser veraltet, oder es besteht im Augenblick keine Internetverbindung.
Es findet also eine Elektronenübertragung von den Eisen-Atomen auf die Kupfer-Ionen statt. Die Eisen-Atome geben zwei Elektronen ab, man sagt, sie werden oxidiert. Die Kupfer-Ionen nehmen die Elektronen auf, sie werden also reduziert. Die Oxidation des Eisens und die Reduktion des Kupfers laufen gleichzeitig ab, beide Reaktionen fasst man dann unter dem Begriff Redoxreaktion zusammen.
Oxidation = Abgabe von Elektronen
Reduktion = Aufnahme von Elektronen
Redoxreaktion = Übertragung von Elektronen
Präzisere Deutung (Sekundarstufe II)
Die Rolle der Eisen-Atome
Betrachten wir zunächst die Reaktion der Eisen-Atome. Einige Eisen-Atome in der Außenfläche des Eisennagels "lösen" sich in der Flüssigkeit auf.
Warum machen die Eisen-Atome das überhaupt, könnte man sich fragen. Um diese Frage zu klären, muss man etwas weiter ausholen. Warum löst sich ein Stück Zucker auf, wenn man es in ein Glas mit Wasser gibt? Eine wichtige Triebkraft für chemische Reaktionen ist die Zunahme der Entropie (Unordnung). Ein Stück Würfelzucker stellt einen Zustand hoher Ordnung (geringer Entropie) dar. Lösen sich die Zucker-Moleküle jedoch in Wasser, so nimmt die Unordnung zu. Ähnlich ist es mit dem Eisennagel. Der Zustand des festen Eisens Fe(s) stellt einen Zustand extrem hoher Ordnung dar. Lösen sich Eisen-Teilchen jedoch im Wasser, wo sie ungeordnet hin- und herdiffundieren können, ist das ein Zustand hoher Unordnung bzw. großer Entropie. Solche entropiereichen Zustände werden in der Natur immer angestrebt; es gibt sogar einen Hauptsatz der Thermodynamik, der genau dies besagt.
Allerdings gibt es einen Preis, den die Eisen-Atome bezahlen müssen, wenn sie sich im Wasser lösen wollen: Sie müssen ihre Außenelektronen abgeben:
$Fe_{(s)}\to Fe^{2+}_{(aq)}+ 2 e^{-} $Die so entstandenen Eisen-Ionen sind jetzt in der Lage, im Wasser eine Hydrathülle zu bilden, was im Prinzip ein exothermer Vorgang ist. Der "Preis", den die Eisen-Atome zahlen müssen, ist also in Wirklichkeit eine Investition. Durch die Bildung der Hydrathüllen wird recht viel Energie gewonnen. Neben der Entropiezunahme durch den Übergang Fe(s) --> Fe2+(aq) ist dieser Energiegewinn (Hydrationsenergie) die zweite Triebkraft für die Oxidation der Eisen-Atome.
Die Rolle der Kupfer-Ionen
Allerdings können Eisen-Atome nur dann Elektronen abgeben, wenn Teilchen vorhanden sind, die in der Lage sind, Elektronen aufzunehmen. Solche Teilchen werden in der Chemie als Elektronen-Akzeptoren bezeichnet. Entsprechend sind die Eisen-Atome dann Elektronen-Donatoren.
Die Wasser-Moleküle der Kupfersulfatlösung nehmen mit Sicherheit keine Elektronen auf, wohl aber die zweiwertig positiven Kupfer-Ionen:
$Cu^{2+}_{(aq)} + 2 e^{-} \to Cu_{(s)}$Nun könnte man natürlich argumentieren, dass die Kupfer-Ionen hydratisiert sind. Wenn sie Elektronen aufnehmen und zu Kupfer-Atomen werden, gehen ihnen die Hydrathüllen verloren, was aber aus energetischer Sicht ungünstig ist. Außerdem werden aus den gelösten Kupfer-Ionen feste Kupfer-Atome, die Entropie nimmt also bei diesem Vorgang ab, was ebenfalls ungünstig ist.
Allerdings könnte man hier schon einmal eine Vermutung äußern: Offensichtlich ist die energetische Bilanz bei der Oxidation des Eisens besser / größer als bei der Reduktion des Kupfers, so dass die Reaktion in dieser Richtung abläuft.
Redoxreaktion
Wenn wir die beiden bisher behandelten Reaktionsgleichungen - die Oxidation des Eisens und die Reduktion des Kupfers - zusammenfassen, erhalten wir folgende Gleichung:
$Cu^{2+}_{(aq)} + Fe_{(s)} \to Fe^{2+}_{(aq)} + Cu_{(s)}$Die beiden Elektronen tauchen in dieser Gleichung nicht mehr auf. Auf der linken Seite würden eigentlich zwei Elektronen stehen, aber auch auf der rechten Seite. Also kann man die Elektronen wegkürzen.
Das Donator-Akzeptor-Prinzip
Was wir bei dem Eisennagel-Versuch gesehen haben, lässt sich leicht zusammenfassen:
Die Eisen-Atome treten als Elektronen-Donatoren auf und geben je zwei Elektronen an die Kupfer-Ionen ab, welche hier die Rolle von Elektronen-Akzeptoren spielen. Es findet eine Elektronenübertragung bzw. ein Elektronentransfer vom Donator zum Akzeptor statt. Und damit haben wir eigentlich auch schon das ganze große Thema der Elektrochemie charakterisiert. Stets werden irgendwelche Elektronen von irgendeinem Donator auf einen Akzeptor übertragen.
Oxidation = Abgabe von Elektronen durch einen Elektronen-Donator
Reduktion = Aufnahme von Elektronen durch einen Elektronen-Akzeptor
Redoxreaktion = Übertragung von Elektronen von einem Elektronen-Donator auf einen Elektronen-Akzeptor
Elektrochemische Vorgänge bzw. Redoxreaktionen sind aber nur ein Beispiel für das Donator-Akzeptor-Prinzip. Bei Säuren und Basen kann man ebenfalls von Donatoren und Akzeptoren sprechen. Säuren sind Teilchen, die Protonen abgeben, also Protonen-Donatoren. Basen sind andererseits Teilchen, die Protonen aufnehmen, also Protonen-Akzeptoren.
Auch in der organischen Chemie gibt es bei bestimmten Reaktionstypen (zum Beispiel der nucleophilen Substitution) das Donator-Akzeptor-Prinzip. Bromid-Ionen können beispielsweise von bestimmten Verbindungen aufgenommen werden, andere Verbindungen können dagegen Brom-Atome in Form von Bromid-Ionen abgeben.