Auf der letzten Seite hatten wir festgestellt, dass die Geschwindigkeit einer chemischen Reaktion von drei wichtigen Faktoren beeinflusst wird: Der Konzentration der Edukte, dem Zerteilungsgrad der Edukte und der Temperatur. Je höher die Eduktkonzentration, je größer der Zerteilungsgrad, und je höher die Temperatur, desto höher die Reaktionsgeschwindigkeit.
Auf dieser Seite wollen wir uns mit der Frage beschäftigen, wie man die Reaktionsgeschwindigkeit genau messen kann. Für die Schulchemie spielen dabei vor allem zwei Verfahren eine wichtige Rolle, die volumetrische Messung und die gravimetrische Messung.
Volumetrische Messung der Reaktionsgeschwindigkeit
Bei der Reaktion von Zink mit Salzsäure hatten wir gesehen, dass die Reaktionsgeschwindigkeit mit der Konzentration der Salzsäure steigt. Bei einer doppelt konzentrierten Salzsäure sollte die Reaktion ungefähr auch doppelt so schnell ablaufen. Doch stimmt das auch? Um diese Frage zu überprüfen, muss man die Reaktionsgeschwindigkeit quantitativ messen, also in genauen Zahlen ausdrückbar.
Die Methode der volumetrischen Messung basiert darauf, dass man das Volumen eines bei der Reaktion entstehenden Gases misst. Bei der Reaktion zwischen Salzsäure und Zink entsteht das Gas Wasserstoff. Mit einem Kolbenprober kann man das während der Reaktion entstehende Wasserstoff-Volumen genau messen. Betrachten Sie dazu die folgende Abbildung:

Der entstehende Wasserstoff drückt den Kolben des Kolbenprobers nach außen, und mithilfe der Skala kann man genau ablesen, wie viele ml H2-Gas zu einem gegebenem Zeitpunkt insgesamt gebildet worden sind.
Praktische Hinweise zum Kolbenprober
Der verwendete Kolbenprober muss sehr leichtgängig sein, damit der entweichende Wasserstoff den Kolben nach außen drücken kann. Wenn man den Kolbenprober mit der Hand senkrecht nach unten hält, muss der Kolben ruckelfrei aus dem Kolbenprober herausgleiten. Mit der anderen Hand fängt man ihn dann auf.
Der Kolben darf aber andererseits auch nicht zu locker in dem Kolbenprober sitzen. Baut man den Versuch wie in der Abbildung auf - mit herausgezogenem Kolben - dann darf man den Kolben nicht einfach in den Kolbenprober hineindrücken können. Wenn dies gelingt, sitzt der Kolben zu locker. Bei dem Versuch könnte dann Wasserstoff am Kolben vorbei nach außen entweichen, und man würde nur einen Teil des gebildeten Gasvolumens messen.
Bei der Durchführung des eigentlichen Versuchs muss der Kolben natürlich ganz in den Kolben hineingeschoben sein.
Bei diesem Versuch kann es passieren, dass man zu viel Salzsäure verwendet. Die Reaktion verläuft dann sehr schnell, der Kolbenprober ist innerhalb weniger Sekunden vollständig mit Gas gefüllt. Natürlich können die Schüler den Kolbenprober mit ihrem Smartphone filmen und dann das Video Sekunde für Sekunde analysieren.

Das Zink müssen wir bei dem Versuch nicht abwiegen, solange ein deutlicher Überschuss vorliegt.
Ich habe im Mai 2011 den Versuch gefilmt und konnte so die Zunahme des Wasserstoff-Volumens im Kolbenprober detailliert aufzeichnen. Der fertige Film wurde dann genau analysiert; jede volle Sekunde wurden die Messwerte abgelesen und in eine Tabellenkalkulation (Excel) eingegeben. Hier die graphische Darstellung der Messwerte:

Man kann sehr schön eine Sättigungskurve erkennen; mit der Zeit entsteht pro Sekunde immer weniger Wasserstoff.
Stellt man nun die Differenzen dar (mathematisch die erste Ableitung der Sättigungskurve), so erhält man folgende Graphik:

Diese Graphik zeigt, dass am Anfang pro Sekunde sehr viel Wasserstoff entsteht, mit der Zeit wird die Wasserstoffproduktion pro Zeiteinheit aber immer geringer. Die Kurve zeigt nichts anderes als die Abnahme der Reaktionsgeschwindigkeit. Nach 16 Sekunden ist die Reaktion in diesem Beispiel beendet.
Reaktionsgeschwindigkeit
Die Reaktionsgeschwindigkeit vR ist ein Maß für die pro Zeiteinheit (Minute oder Sekunde) entstehende Stoffmenge eines Reaktionsprodukts.
Wie man leicht sieht, nimmt die Geschwindigkeit der Reaktion immer mehr ab, sie nähert sich am Ende dem Wert Null. Das ist ja auch logisch: Von der Salzsäure wird im Laufe der Reaktion immer mehr verbraucht, bis schließlich nichts mehr da ist. Und wenn keine HCl mehr im Erlenmeyerkolben vorhanden ist, kann auch kein Wasserstoff entstehen - die Reaktionsgeschwindigkeit der H2-Bildung ist dann Null.
Gravimetrische Messung der Reaktionsgeschwindigkeit
Eine völlig andere Methode zur Messung der Reaktionsgeschwindigkeit nutzt die Tatsache aus, dass das bei der Reaktion entweichende Gas eine bestimmte Masse hat. Reaktionen, bei denen Wasserstoff freigesetzt wird, sind für dieses Verfahren nicht so gut geeignet, weil Wasserstoffgas eine sehr geringe Masse hat (2 g/mol). Dieses Verfahren eignet sich für Reaktionen, bei denen Kohlendioxid freigesetzt wird. CO2 hat mit 44 g/mol eine deutlich höhere Masse.
Durchführung
Für eine Reaktion, bei der Wasserstoff freigesetzt wird, braucht man eine sehr empfindliche Waage, für Kohlendioxid produzierende Reaktionen reicht eine normale Schülerwaage, die auf 0,1 g genau wiegt. Bei diesem Versuch soll die Reaktion von Salzsäure (oder Essigsäure) mit Calciumcarbonat untersucht werden.
Man stellt den Erlenmeyerkolben (am besten weithalsig) oder das Becherglas auf die Waage, gibt die genau abgemessene Säure in das Gefäß und stellt die Waage auf Null (Tarier-Funktion). Das Calciumcarbonat (im Überschuss!) gibt man dann möglichst zügig in die Säure und filmt die Anzeige der Waage. Nach Abschluss der Reaktion wird das Video ausgewertet.
Auswertung
Wenn der Versuch wie geplant abläuft, sollte das Display der Waage immer weniger Gewicht bzw. Masse anzeigen. Der Massenrückgang sollte zu Beginn der Reaktion pro Sekunde sehr groß sein und im Laufe der Reaktion immer geringer werden.
Aus dem Gewichtsverlust kann dann die Masse des pro Sekunde entstandenen Kohlendioxids berechnet werden, und daraus wiederum die Stoffmenge der noch im Kolben vorhandenen Salzsäure. Aus n(HCl) kann dann c(HCl) in Abhängigkeit von der Zeit berechnet und graphisch dargestellt werden.
Weitere Methoden zur Messung der Reaktionsgeschwindigkeit
Neben der volumetrischen und der gravimetrischen Methode gibt es weitere Methoden zur Messung der Reaktionsgeschwindigkeit.
Methoden für Reaktionen, bei denen Farbstoffe entstehenEntsteht bei der chemischen Reaktion ein Farbstoff als Produkt, so kann man die Konzentration dieses Farbstoffs mit einem Photometer messen. Dabei handelt es sich im Prinzip um ein Gerät, das feststelle, wie viel Licht durch eine Probe des Farbstoffs "durchgeht". Ein solches Photometer besteht aus einer Lichtquelle, einem Probenbehälter und einem Photosensor. Ist die Farbstoffkonzentration im Probenbehälter hoch, wird nur ein geringer Bruchteil des Lichtes durchgelassen. Ist die Farbstoffkonzentration dagegen klein, wird viel Licht durchgelassen. Schließt man ein solches Photometer an einen automatischen Schreiber oder einen Computer an, so kann man die Veränderung der Farbstoffkonzentration während der Reaktion kontinuierlich aufzeichnen.
Methoden für Reaktionen, bei denen Farbstoffe entfärbt werdenIst ein Edukt der chemischen Reaktion ein Farbstoff und wird dieser Farbstoff während der Reaktion entfärbt, so kann man mit einem Photometer die abnehmende Konzentration des Edukts verfolgen.
Es geht hier aber auch einfacher. Man kann beispielsweise die Zeit stoppen, die bis zur völligen Entfärbung des Farbstoffs vergeht. Allerdings erhält man dann mit Sicherheit keine Momentangeschwindigkeit, sondern nur einen sehr groben Wert für die Durchschnittsgeschwindigkeit in dem Zeitintervall. Will man die Konzentrationsabhängigkeit der Reaktionsgeschwindigkeit auf diese Weise ermitteln, so muss man mehrere Parallelversuche mit unterschiedlichen Ausgangskonzentrationen durchführen.
Eine interessante Variante dieses Verfahrens wird in einigen Schulbüchern wie beispielsweise "Chemie heute" vom Schroedel-Verlag genannt. Man gibt eine Thiosulfat-Lösung bekannter Konzentration mit 1-molarer Salzsäure zusammen, stellt den Erlenmeyerkolben auf ein Blatt weißes Papier, auf das man zuvor ein schwarzes Kreuz gezeichnet hat. Dann misst man die Zeit, die vergeht, bis man das Kreuz nicht mehr sehen kann, wenn man von oben in den Erlenmeyerkolben schaut. Je konzentrierter die Salzsäure bzw. die Thiosulfatlösung, desto schneller läuft die Reaktion ab.
Methoden für Reaktionen, bei denen eine Säure / Lauge entsteht bzw. verbraucht wirdEntsteht bei der Reaktion eine Säure, so steigt die Protonenkonzentration während der Reaktion an. Im einfachsten Fall setzt man dem Reaktionsgemisch einen Universalindikator zu und verfolgt die Farbänderungen mit dem bloßen Auge, der Videokamera oder einem Photometer.
Sollte dies aus irgendeinem Grund nicht möglich sein, so kann man auch in bestimmten Zeitabständen kleine Proben des Reaktionsgemisches entnehmen und dann deren jeweiligen pH-Wert bestimmen, um Aufschluss über die gerade herrschende Protonenkonzentration zu bekommen. Bei diesem Verfahren gibt es allerdings ein Problem: In den Proben läuft die Reaktion weiter, wenn man nichts dagegen unternimmt (schnelles Abkühlen, Zugabe eines Inhibitors o. Ä.).
Wird bei der Reaktion eine Säure verbraucht, kann man auf die gleiche Weise verfahren. Das selbe gilt dann, wenn bei der Reaktion eine Lauge entsteht oder verbraucht wird.
Ein bekannter Schulversuch, bei dem dieses Verfahren angewandt wird, ist die Veresterung von Essigsäure mit Ethanol zu Essigsäure-ethylester. Die Reaktion verläuft sehr langsam, bis sich das chemische Gleichgewicht eingestellt hat, vergehen teilweise Stunden. Alle 10 oder 15 Minuten wird eine kleine Probe aus dem Reaktionskolben entnommen und dann mit 1 molarer NaOH titriert, um die Säurekonzentration in dem Reaktionskolben zur Zeit t zu bestimmen.
In meinem aktuellen Chemiekurs (Januar 2019) haben wir die Reaktion von Salzsäure mit Zink auf diese Weise untersucht. Das Verfahren mit der kontinuierlichen Messung des pH-Wertes (es wurde kein Indikator verwendet, sondern ein pH-Messgerät) lief sehr gut.
Methoden für Reaktionen, bei denen Ionen entstehten bzw. verbraucht werdenEntstehen bei der Reaktion Ionen oder werden Ionen verbraucht, so kann man eventuell über die Veränderung der elektrischen Leitfähigkeit die Konzentrationen der Edukte oder Produkte verfolgen. Dazu müssen allerdings die genauen Beiträge der einzelnen Ionensorten zur Gesamtleitfähigkeit der Lösung bekannt sein. Protonen haben beispielsweise eine sehr viel höhere Leitfähigkeit als Sulfat-Ionen, weil sie kleiner und beweglicher sind.
Quellen:
- internetchemie.info/chemie-lexikon/daten/m/molvolumen.php
- Römpp Chemie-Lexikon, 9. Auflage 1992