Entropie und Leben

Lebewesen sind hochgeordnete Systeme, die man als sehr entropiearm bezeichnen müsste. Wieso können Lebewesen überhaupt existieren? Müssten sie nicht dem zweiten Hauptsatz der Thermodynamik gehorchen und ständig "unordentlicher" werden, bis sie schließlich zu Staub zerfallen?

Dazu habe ich mir wieder mal ein Analogbeispiel ausgedacht, diesmal aus meinem Badezimmer.

Versuch mit dem Waschbecken

Wir stöpseln unser Waschbecken zu und lassen Wasser hineinlaufen, bis das Becken voll ist. Auf diese Weise haben wir einen sehr ordentlichen entropiearmen Zustand erzeugt. Nun ziehen wir den Stöpsel heraus und beobachten, wie das Wasser langsam wieder abläuft. Es gehorcht der Schwerkraft, und wenn das Becken leer ist, hat sich wieder ein entropiereicher und wahrscheinlicher Zustand eingestellt.

Nun verändern wir die Versuchsbedingungen. Wieder lassen wir das Becken volllaufen. Wenn das Becken halb voll mit Wasser ist, ziehen wir den Stöpsel heraus. Das Wasser lassen wir aber weiter laufen. Den Wasserhahn regulieren wir so ein, dass stets genau so viel Wasser in das Becken fließt, wie aus ihm abläuft. Wir können dann beobachten, dass der Wasserstand im Becken über längere Zeit auf der gleichen Höhe bleibt. Es hat sich ein hochgeordneter Zustand eingestellt, der eigentlich gar nicht existieren dürfte. Der Wasserspiegel verändert sich nicht, was ja eigentlich völlig unwahrscheinlich (und damit entropiearm) ist.

Was sagt uns nun dieser kleine Versuch?

Im Waschbecken hat sich ein dynamisches Fließgleichgewicht eingestellt. Fließgleichgewichte kennen wir bereits aus der Zellbiologie, und zwar aus dem Abschnitt über Diffusion. Wenn sich ein Konzentrationsausgleich zwischen zwei Seiten einer Membran eingestellt hat, liegt auch ein solches Fließgleichgewicht vor. Pro Zeiteinheit diffundieren genau so viele Teilchen von links nach rechts wie von rechts nach links. Im Waschbecken fließt pro Zeiteinheit genau so viel Wasser ab, wie wir zulaufen lassen. Das Ergebnis ist ein hochgeordneter entropiearmer Zustand, ein Wasserspiegel, der sich anscheinend nicht verändert.

Lebewesen sind auch solche Fließgleichgewichte. Ständig nehmen wir Stoffe mit der Nahrung auf, und ständig geben wir Stoffe, die wir nicht mehr brauchen, ab. Stoffwechsel nennt man dieses Fließgleichgewicht. Nur dieses Fließgleichgewicht hält uns am Leben. Hören wir auf zu essen oder zu trinken, so müssen wir nach kurzer Zeit sterben. Und könnten wir keine Abfallstoffe mehr ausscheiden, würde auch das schließlich zum Tod führen. Wenn ein Lebewesen gestorben ist, wird dieses Fließgleichgewicht nicht mehr aufrecht erhalten, und dann setzt tatsächlich der zweite Hauptsatz der Thermodynamik ein, und die Entropie nimmt endlich zu.

Die Stoffwechselbiologie beschäftigt sich mit genau diesem Aspekt des Lebens. Lebewesen müssen ständig Nahrung aufnehmen, um daraus Energie zu gewinnen. Diese Energie benötigen sie dann, um ihren hochgeordneten entropiearmen Zustand aufrecht zu erhalten. Mit der aus der Nahrung gewonnenen Energie werden neue Zellen erzeugt, Zellen zu Geweben und Gewebe zu Organen zusammengebaut, Muskeln angetrieben und so weiter. Und auch die Pflanzen benötigen eine ständige Energiezufuhr von außen. Die grünen Pflanzen haben es einfach; sie können dazu das Sonnenlicht nutzen und Fotosynthese betreiben. Pilze, Bakterien und ähnliche Lebewesen können das Sonnenlicht nicht direkt nutzen, sie beziehen ihre Energie aus organischen Stoffen oder sogar aus anorganischen Stoffen, indem sie zum Beispiel Schwefel- oder Stickstoffverbindungen oxidieren (Chemosynthese).