Die Genaktivität hängt von der Position des Gens im Zellkern ab

In den Jahren 2005 bis 2008 wurde entdeckt, dass sich die Chromosomen nicht wahllosund zufällig im Zellkern verteilen, sondern das jedes Chromosom einen bestimmtenLieblingsplatz hat. Manche Chromosomen sind eher am Rande des Zellkerns anzutreffen,andere Chromosomen eher im Zentrum. Bestimmte Chromosomen treten gern als Nachbarnauf, andere Chromosomen halten eine gewisse Distanz ein.

Man konnte das mit Gensondennachweisen, die mit fluoreszierenden Antikörpernmarkiert waren. Solche Gensonden lagern sich spezifisch an bestimmte Chromosomenan. Wird der Zellkern im Lichtmikroskop dann mit UV-Licht bestrahlt, leuchten dieChromosomen dann in den unterschiedlichsten Farben auf, so ähnlich, wie aufdem Bild unten zu sehen ist.

Zwei tolle Sachen wurden ebenfalls entdeckt.

Erstens ist diese Anordnung der Chromosomen in jedem Zelltyp anders. In Nervenzellendes Gehirns kann beispielsweise Chromosom Nr. 13 im Zentrum vorkommen, währendes sich in Muskelzellen des Unterarms eher am Rande des Zellkerns aufhält (diesesBeispiel habe ich mir jetzt einfach mal willkürlich ausgedacht).

Zweitens sind die Chromosomen, die sich im Zentrum des Zellkerns aufhalten, aktiverals die Chromosomen am Rande des Zellkerns. Die Chromosomen im Zentrum sind nichtso dicht gepackt wie die Chromosomen in der Peripherie, daher können die Transkriptionsenzyme(Polymerase, Transkriptionsfaktoren etc.) die Gene im Zentrum besser ablesen alsam Rande des Zellkerns.

Ich habe mal versucht, diesen Sachverhalt mit Photoshop zu verdeutlichen. DieChromosomen am Rande sind in der Abbildung jetzt deutlich dunkler als die Chromosomenim Zentrum. Die Helligkeit steht für die Transkriptions-Aktivität der Chromosomen.

Die Steuerung der Genaktivität ist doch etwas komplexer

Sie haben schon ganz richtig vermutet - die Steuerung der Genaktivität istdoch etwas komplexer als eben dargestellt. Ein Chromosom enthält viele Hundertbis Tausend Gene, von denen manche aktiv sind, andere dagegen nicht. Nach dem obigenModell müssten aber alle Gene eines Rand-Chromosoms inaktiv sein und alle Geneeines Zentrum-Chromosoms aktiv. Das ist aber nicht der Fall. Man stellt sich dieSache so vor: Ein Chromosom hält sich normalerweise eher am Rande des Zellkernsauf, in der Nähe der Kernhülle. Es gibt sogar eigene Proteine, welche dieChromosomen an der Kernhülle "festkleben", die Laminproteine.

Soll nun ein Gen auf einem Rand-Chromosom abgelesen werden, so lockert sich dasChromosom an dieser Stelle, die DNA mit dem Gen bildet eine lange Schleife, die jetztbeginnt, im Zellkern herumzuschwirren. Im Zentrum des Zellkerns befinden sich sogenannteTranskriptionsfabriken. Darunter muss man sich Multienzymkomplexe vorstellen, dieaus RNA-Polymerasen und Transkriptionsfaktoren bestehen. Gerät die Schleifemit dem zu transkribierenden Gen nun zufällig in die Nähe einer solchenTranskriptionsfabrik, so beginnt die Transkription dieses Gens.

Achten Sie auf das blaue Chromosom unten links. Ein Teil des Chromosoms hat eineSchleife gebildet, die in das Zentrum des Zellkerns reicht, wo sich die Transkriptionsfabrikenkonzentrieren.

Man vermutet, dass bei dieser Schleifenbildung und beim "Transport" derSchleifen zum Zentrum des Zellkerns bestimmte motorische Proteine eine Rolle spielen,die die Schleifen quasi zum Zentrum ziehen.

Wer weitere Einzelheiten zu diesem Thema wissen möchte und viel Geld hat(ca. 99 Euro), der kauft sich das Buch "The Nucleus" von Tom Misteli. Wernicht so viel Geld investieren möchte, sollte sich das Juli-Heft von Spektrumder Wissenschaft kaufen (6/2011) und den Artikel "Das Innenleben des Genoms" aufSeite 28ff lesen.